Brauchen wir ein neues Bewusstsein?

Spätestens seit dem Werk von Jean Gebser und den tiefenpsychologischen Befunden von C.G. Jung und Erich Neumann ist das keine Frage mehr.

Jedenfalls müssen wir mit diesen Arbeiten erkennen, dass und warum wir mit dem uns überkommenen Bewusstsein nicht nur keine Lösungen für die dringendsten Probleme unserer Zeit finden. Die zunehmnde Zuspitzung dieser Probleme kann uns ohne eine grundlegende Wandlung unseres Welt- und Menschenbildes durchaus in eine Menschheits-Katastrophe führen.

Letztlich wird dieser Feststellung nur zustimmen, wer sich mit den genannten Arbeiten gründlich beschäftigt hat.

Es soll auch nicht der Eindruck erweckt werden, als ob erst diese Denker erkannt haben, dass und warum unser überkommenes Weltverständnis und die daraus resultierenden Denk- und Handlungsweisen die zunehmend bedrängenden Probleme unserer Zeit nicht bewältigen können.

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden warnende Stimmen laut, die ein grundsätzliches Umdenken forderten. In der Philosophie insbesondere von Friedrich Nietzsche mit seiner aufrüttelnden Kritik an herkömmlichen Denkweisen und Wertmaßstäben. Damals konnten ihm seine Zeitgenossen noch das Provozierende seiner Formulierungen zu ihrem eigenen Schutz  vorhalten und es späteren Generationen überlassen zu erkennen, worum es ihm eigentlich ging.

Doch dann verließ gerade noch kurz vor dem Beginn des ersten Weltkrieges Albert Schweitzer seine als Philosoph, Theologe und Musiker scheinbar so wohl vorgeordnete Welt. Und entwickelte aus dem unmittelbarem Erlebnis menschlicher Existenznöte seine Forderung nach  einer neuen "Ehrfurcht vor dem Leben".

Die Geschichte hat gezeigt, dass sein als Mensch und Denker aufrüttelndes Vorbild den weiteren Verfall der herkömmlichen Wert- Denk- und Handlungsvorstellungen nicht aufhalten konnte. Es folgten Eruptionen an Menschenverachtung, die in die Katastrophe des 2. Weltkreis einmündeten.

Zweifellos beeinflusste diese Katastrophe die Arbeiten von Jean Gebser und Erich Neumann.

 

Jean Gebser (1905 - 1973) entwickelte sein Strukturmodell der Bewusstseinsentwicklung zwar einerseits aus einer umfassenden Aufarbeitung der westlichen Kulturgeschichte, von den steinzeitlichen Anfängen bis in unsere Zeit. Aber unverkennbar war ein wesentlicher Motor seiner Arbeit auch der bereits erwähnte geistige und moralische Verfall in der westlichen Welt im 19. und 20 Jahrhundert. Seine Arbeiten entstanden im Wesentlichen etwa zwischen 1940 und 1950, existenziell gesichert in der Schweiz. erst im fortgeschrittenen Alter unternahm er 1961 eine Asienreise, die ihren  Niederschlag in dem Buch "Asien lächelt anders" fand (erschienen 1968). Neben einer 1975/86 bei Novalis erstmals herausgegebenen Gesamtausgabe sind die wichtigsten Einzelwerke:      

   Abendländische Wandlung, erstmals 1943 erschienen bei Oprecht, Zürich/New YorkUrsprung und 
   Gegenwart.
DVA, Stuttgart 1949-1953,

nach seinem Tod herausgegeben:

Einbruch der Zeit, herausgegeben von Rudolf Hämmerli, 1995 bei Novalis, Steinbergkirche.

 

Nach Jean Gebser gibt es in der abendländischen Kulturgeschichte 4 Bewusstseinsstufen: die archaische, die magische, die mythische und die mentale. In unserer Zeit ereignet sich seiner Meinung nach ein Durchbruch zu einer neuen, integralen Bewusstseinsstufe, welche die einseitig auf objektiv Orientierung der "mentalen" Bewusstseinstufe überwindet.

Auf der nächsen Seite "Wohin führt uns ein neues Bewusstsein" wird darauf näher eingegangen.

 

Zum Verständnis der Vorstellungen von Jean Gebser ist es wichtig zu verstehen, dass es ihm um eine im Prinzip ethisch-wertfreie Unterscheidung der verschiedenen Bewusstseinsstufen der Kulturgeschichte geht, die sich nicht auseinander, sich gegenseitig ausschließend, entwickeln. Sie entstehen sprunghaft, wie auch die Entstehung neuer Lebensformen und -Arten nach dem heutigen Verständnis der Naturgeschichte erklärt wird. Konrad Lorenz nennt diese Entstehungssprünge "Fulgurationen". Vgl. dazu den Artikel "Der Mensch in der Schöpfung" auf dieser Webseite.

 

 

Erich Neumann (1905 - 1960) geht einen gänzlich anderen Weg. Ihm geht es um einen neuen Weg zur Beantwortung der Frage "Was ist der Mensch?"* Diesen neuen Weg sucht er, als Schüler und Mitarbeiter von C.G. Jung, mit den Mitteln der analytischen Tiefenpsychologie. Wie sein Lehrer unterscheidet er zwischen dem sterblichen Ich, als das der Mensch in die Welt hinaus geht, und dem Hinfinden zum göttlichen Selbst im Individuationsprozess seines Lebens. Dies ist der Weg zu einem neuen Bewusstsein, mit dem sich eine individuell-personale Ethik entwickelt. Damit begegnet er Albert Schweitzers Ethik der "Ehrfurcht vor dem Leben", die nur in jedem Einzelnen entstehen kann. Das Verständnis dieser Auffassung von Bewusstsein erschließt sich vornehmlich aus seinen Büchern:

Ursprungsgeschichte des Bewusstseins,  Rascher, Zürich, 1949

Tiefenpsychologie und neue Ethik. Rhein, Zürich 1949

Der schöpferische Mensch. Rhein, Zürich 1959

Krise und Erneuerung. Rhein, Zürich 1961, posthum

 

*) siehe dazu auch den Artikel "Was ist der Mensch?" auf dieser Webseite.

Siehe dazu insbesondere auch die Webseite "was-suchen-wir"